Inflation – Gefahr für Wohlstand und Kapitalmarkt?

Das Wesen der Inflation
Inflation ist ein komplexes Zusammenspiel aus wirtschaftlichen Faktoren, psychologischen Phänomenen und den politischen Reaktionen darauf, Voraussetzung ist ein Missverhältnis von Angebot und Nachfrage. Dies kann eine zu große Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen oder ein Überangebot an Geld sein. In Erwartung höherer Preise passen Unternehmen und Verbraucher ihr Verhalten an, Sie ziehen Investitionen sowie Konsum vor und erhöhen die Lagerhaltung.
Die Höhe der Zinsen ist dabei ein Indikator, ob sich eine Investition rentiert bzw. Sparen doch besser ist als Konsum. Notenbanken verfügen über wirksame Instrumente, die Höhe der Zinsen zu beeinflussen, allerdings bestehen erhebliche Verzögerungen, bis geldpolitische Maßnahmen die gewünschte Wirkung entfalten. In der Regel können die Notenbanken jedoch die Stabilität des Geldwerts gewährleisten und das Vertrauen in die Währung sichern.
Inflation wirkt wie eine Sondersteuer auf Nominalanlagen wie Sparguthaben und Anleihen. Ist sie - wie derzeit - höher als der Zins, spricht man von negativer Realverzinsung.
Besitzer von Sachwerten, zu denen Immobilien und Aktien gehören, sind dabei im Vorteil, denn sie profitieren durch den Anstieg der Preise für Sachanlagen, und auch Schulden werden entwertet. Sparer und Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen sind dagegen die Verlierer der Inflation: Zum einen steigen die Löhne typischerweise erst mit einer gewissen Verzögerung, und zum anderen erhöht sich die Steuerlast z. B. durch Progression. Letztlich birgt Inflation sozialen Sprengstoff.
Die Hyperinflation vor 100 Jahren – ein deutsches Schreckgespenst
Im kollektiven deutschen Gedächtnis hat sich die Hyperinflation nach dem 1. Weltkrieg eingebrannt. Was war damals geschehen? Die Finanzierung des 1. Weltkriegs trieb die Staatsverschuldung in die Höhe. Siegesgewiss ging man davon aus, dass die Schulden über spätere Reparationszahlungen wie im deutsch-französischen Krieg 1870/71 beglichen werden.
Doch Deutschland verlor den Krieg und die bereits ausgeuferte Verschuldung stieg durch die dann an die Alliierten fälligen Reparationszahlungen weiter an. Zudem musste Deutschland mit Elsass und Lothringen sowie Oberschlesien wichtige Industriegebiete abtreten, die für rund ein Viertel der Wirtschaftsleistung standen. Infolgedessen gingen die Steuereinnahmen zurück, wohingegen die Ausgaben des Staates durch hohe Sozialleistungen für Veteranen, Invaliden, Witwen und Waisen in die Höhe schossen. Hierfür mussten zusätzliche Schulden aufgenommen werden.
Diese unheilvolle Melange führte zu einem Verfall der Mark, was die in Fremdwährung zu leistenden Reparationsleistungen zusätzlich verteuerte. Die Weimarer Republik war nicht in der Lage, das Vertrauen in die Geldwertstabilität aufrechtzuhalten. Erst die Währungsreform 1923 und die Einführung der Reichsmark ein Jahr später setzten dem Schrecken ein Ende. Insofern ist die heutige Situation mit der vor 100 Jahren nicht zu vergleichen.
Die heutige Situation
Seit der Finanzkrise 2008 und erst recht seit Beginn der Corona-Pandemie versuchen die Industriestaaten weggebrochene private Nachfrage durch fiskalische Impulse auszugleichen, die Notenbanken unterstützen die schuldenfinanzierte Wirtschaftspolitik durch eine sehr expansive Geldpolitik und sehr niedrige Zinsen. Als historisches Vorbild dienen die USA nach dem 2. Weltkrieg, seinerzeit wuchs das Bruttoinlandsprodukt dank hoher Wachstums- und Inflationsraten schneller als die Neuverschuldung. In der Folge sank die Schuldenquote von 120 % bis Ende der 60er Jahre auf unter 40 % der Wirtschaftsleistung. Da heute Wachstum geringer ist, fürchten Experten um die inflationäre Wirkung dieser Politik.
In den Verbraucherpreisindizes war davon bis zum Frühjahr 2021 allerdings nichts zu sehen und die Inflationsrate verharrte deutlich unter dem Ziel der Notenbanken von 2 %, jedoch stiegen mit den sinkenden Zinsen die Preise für Immobilien und Aktien.
Doch vor rund einem Jahr begannen die Inflationsraten anzuziehen und erreichten mit 7,5 % in den USA und über 5 % hierzulande seit Jahrzehnten nicht mehr gekannte Niveaus. Besonders auffallend ist der starke Anstieg der Erzeugerpreise in Deutschland. Sie können als Frühindikator für die künftige Entwicklung der Verbraucherpreise dienen. Im Dezember sind sie im Vergleich zum Vorjahr um 25 % gestiegen (siehe Grafik) - so stark wie noch nie seit Beginn der Erhebung 1949.
Die Gründe für die aktuell hohe Inflation sind vielfältig und sowohl von temporärer als auch von struktureller Natur. Sie lassen sich grundsätzlich in drei Gruppen einteilen:
Vorübergehende Sonder- und (statistische) Basiseffekte
Hierzu zählen beispielsweise die Absenkung und Wiederanhebung der Mehrwertsteuer, die Einführung der CO2-Steuer sowie ein zyklischer Anstieg der Energiepreise nach dem Kollaps der Nachfrage infolge der ersten Phase des weltweiten Lockdowns.
Temporäre und strukturelle Verwerfungen durch die Pandemie
Lockdowns und geschlossene Häfen bergen Probleme für die weltweiten Lieferketten. Der daraus resultierende Mangel an Transportkapazitäten lassen Kosten explodieren und führt gelichzeitig zu Knappheit bei Importen wie Halbleitern oder Rohstoffen.
Ein zweites Phänomen zeigte sich am Arbeitsmarkt, als während der Pandemie mehr Angestellte denn je freiwillig kündigten. Trotz der inzwischen am US-Arbeitsmarkt erreichten Vollbeschäftigung, befindet sich die Zahl der offenen Stellen dort auf Rekordhoch. Auch hierzulande sind viele Stellen speziell im Niedriglohnsektor unbesetzt, was den Weg für eine nachhaltige Lohn-Preis-Spirale ebnet.
Strukturelle Veränderungen mit nachhaltiger Wirkung
Hierzu gehören Lehren aus der Pandemie wie die mit höheren Kosten verbundene Rückverlagerung von Produktionsstufen in die Industriestaaten. Gleichzeitig gehen die geburtenstarken und gut ausgebildeten Jahrgänge in Rente, wodurch ein scharfer Wettbewerb um gelernte und auch ungelernte Fachkräfte entsteht, der sich in höheren Löhnen widerspiegeln wird. Der Ukraine-Krieg und die Spannungen mit Russland werden die Tendenz zu steigenden Öl- und Gaspreisen verstärken. Die forcierte Transformation der Wirtschaft von fossilen zu erneuerbaren Energien erhöht die Rohstoffnachfrage nach Kupfer, Lithium und anderen Metallen enorm. Doch gerade in diesem Sektor sind die Investitionen seit Jahren durch Regulierung und erhöhte Finanzierungsanforderungen rückläufig. Dementsprechend trifft nun eine steigende Nachfrage auf ein nicht adäquat ausgebautes Angebot. Dieser Effekt wird inzwischen als „Greenflation“ bezeichnet. Auch die Staatsapparate tragen zu höheren Inflationsraten bei, indem sie immer mehr Aufgaben selbst übernehmen und regulierend in die Märkte eingreifen, was Ineffizienzen fördert und unproduktive Beschäftigung schafft – die aufgeblähte Bürokratie lässt grüßen.
Diesen preiserhöhenden Effekten stehen aber weiterhin Trends gegenüber, die sich auch in Zukunft dämpfend auf das Preisniveau auswirken werden:
Die Digitalisierung führt zu erheblichen Produktivitätssteigerungen und ermöglichen Effizienzgewinne sowie die Realisierung von Einsparungspotentialen.
Der hohe Schuldenstand der Industriestaaten reduziert die Wirksamkeit fiskalischer Maßnahmen per se. Steigen dann die Zinsen, schwindet der Spielraum für weitere, schuldenfinanzierte Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaftstätigkeit.
Alternde Gesellschaften, wie das Beispiel Japans zeigt, tendieren zu geringem Wachstum und somit auch zu geringem inflationärem Druck. Dies betrifft Industriestaaten und zunehmend auch China.
Die grundsätzliche Sättigung der Industriestaaten stellt ein Innovations- und Wachstumshemmnis dar.
Noch ist völlig offen, auf welchen Niveaus sich die Inflationsraten zukünftig einpendeln werden, dafür sind die Kausalitäten zu komplex und hängen auch von der Politik der Notenbanken ab. Dabei scheinen sich die Wege der US-Notenbank FED und der EZB zumindest vorübergehend zu trennen, die FED stuft die hohen Inflationsraten inzwischen nicht mehr als vorübergehend ein und reduziert bereits die Käufe von Wertpapieren. Zudem werden für 2022 bis zu vier Zinserhöhungen erwartet. Sogar über eine Verkürzung der FED-Bilanz wird spekuliert, bei der fällig werdende Anleihen nicht mehr ersetzt werden. Dies alles sollte tendenziell zu steigenden Kapitalmarktzinsen führen.
Die EZB dagegen steckt in dem Dilemma, dass die Erhaltung der Geldwertstabilität nun eigentlich auch eine straffere Geldpolitik erfordern würde. Allerdings wurde die EZB in den letzten Jahren verstärkt in die Rolle gedrängt, die Finanzierungsfähigkeit insbesondere einiger hochverschuldeter, aber wirtschaftlich schwacher Staaten zu erhalten und damit den Zusammenhalt der Eurozone sicherzustellen. Dies birgt Zielkonflikte, die unter Umständen nicht mehr mit ihrer eigentlichen Aufgabe der Geldwertstabilität konform sind.
Inflation – was heißt das für das Vermögen?
Die Kombination aus Konjunktur-, Inflations- und Zinsentwicklung ist für die Aussichten der verschiedenen Asset Klassen entscheidend. Stand heute müssen wir wohl davon ausgehen, dass die Inflation zukünftig höher sein wird als in den letzten Vor-Corona-Jahren. Wir skizzieren hier zwei Szenarien und deren mutmaßliche Auswirkungen auf die Kapitalmärkte:
Szenario 1 – Die Inflationsraten reduzieren sich wieder, bleiben aber in dem Korridor von 2 % bis 5 % und damit über dem Niveau der letzten Dekade. Die Notenbanken werden die Zügel tendenziell straffen, ohne die Wirtschaft allzu stark abzukühlen. Dadurch werden die Zinsen höher sein als vor der Pandemie, die Realverzinsung nach Abzug der Inflation wird aber negativ bleiben. Anleihen werden noch längere Zeit unattraktiv bleiben und erst peu à peu mit steigenden Zinsen wieder attraktiver. Aber sie dienen als Puffer für den Ausgleich von Wertschwankungen anderer Asset Klassen wie Aktien. Für Aktien waren in der Vergangenheit Inflationsraten zwischen 4 % bis 5 % noch kein Grund für fallende Kurse. Aber die Aktienauswahl wird wieder wichtiger, denn die tatsächliche Entwicklung der einzelnen Unternehmen steht wieder im Vordergrund. Ob Engagements in Aktien tatsächlich positive Renditen erzielen, hängt davon ab, wie die Firmen auf höhere Zinsen und Preise reagieren können. Beispielsweise sind Finanz- und Rohstofftitel eher begünstigt, wohingegen hoch bewertete und in den Indizes hoch gewichteten Wachstumsaktien weiter Gegenwind bekommen. Nach dem ETF-Boom erlebt aktives Management deshalb ein Comeback. Der Preisanstieg bei Immobilien dürfte angesichts höherer Zinsen und Inflationsraten ein Ende finden. Höhere Zinsen reduzieren tendenziell die Bewertungen. Die Nachfrage bleibt hoch, aber die Lage bekommt noch mehr Bedeutung. Gold erfährt in diesem Umfeld mehr Zuspruch als in den letzten Jahren.
Szenario 2 – Die Inflationsrate bleibt oberhalb von 5 % und damit hoch
Die Notenbanken sind gezwungen mit deutlich strafferer Geldpolitik zu reagieren. Diese vermag es zwar, die Inflationsraten dauerhaft abzusenken, allerdings kühlt sich das Wirtschaftswachstum deutlich ab. Die Staaten versuchen, die Wirtschaft abermals mit schuldenfinanzierten Programmen zu stützen, angesichts höherer Zinsen fallen diese Programme kleiner aus als in der jüngsten Vergangenheit. Die Realzinsen bleiben negativ. Für die Kapitalanleger brechen harte Zeiten an. Durch den stärkeren Zinsanstieg erleiden die Halter von Anleihen zunächst herbe Kursverluste, bevor sie sich später zu höheren Niveaus neu engagieren können. Aktienanlagen leiden bei Inflationsraten über 5 % und schwachem Wachstum. Dadurch sinken die Bewertungen nahezu aller Aktien, wobei klassische Value-Segmente wie Banken (höhere Zinsen) und Rohstoffe (steigende Preise) noch am besten abschneiden. Auch die Preise von Immobilien fallen dann: Zum einen reduzieren die gestiegenen Zinsen die Bewertungen und zum anderen können die Mieten nicht in gleicher Weise wie die Inflationsrate angehoben werden. Gold und andere Edelmetalle erklimmen neue Höchststände.
Die hier vorgestellten Szenarien erheben weder den Anspruch auf Vollständigkeit; aber sie sollen ein Gefühl dafür geben, was passieren könnte, wenn es zu der seit langem vorausgesagten Zinswende kommt. Dann sind Anleihen zunächst auf der Verliererseite. Die vermutlich negativ bleibende Realverzinsung spricht tendenziell für Sachanlagen wie Aktien, wenngleich durch das höhere Zinsniveau die Bewertungen sinken werden. Folglich ändert sich nach 40 Jahren sinkenden Zinsen das Anlageumfeld grundlegend.