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Grenzen der Staatsverschuldung

Grenzen der Staatsverschuldung

Prolog: Die Pest in Venedig im 17. Jahrhundert.

 Aus heutiger Sicht weist die Pest in Venedig 1630/31 eine interessante historische Parallele mit der Corona-Krise auf, denn auf den Ausbruch der Seuche reagierte die Regierung zunächst mit harten Quarantänemaßnahmen. Diese schädigten die Wirtschaft schwer und lösten Diskussionen über deren Sinnhaftigkeit und Verhältnismäßigkeit aus. Gleichzeitig setzte eine spürbare Inflation ein.

Um einen Aufstand zu verhindern, kaufte der Staat unter anderem den Händlern Waren ab und verteilte diese an Bedürftige. Ebenso wurden Löhne an jene gezahlt, die wegen der staatlichen Maßnahmen keiner Arbeit mehr nachgehen konnten. Dafür reichten die staatlichen Mittel nicht aus. Zunächst erhob die Regierung eine Vermögensteuer. Dann ließ sie zur Finanzierung ihrer Ausgaben neue Geldscheine bei der Giro Bank drucken.

In der Folge wurde die Deckung des Buchgeldes durch Münzen verwässert, und es kam zu einer Vertrauenskrise, das Buchgeld wertete gegenüber dem umlaufenden Münzgeld erheblich ab. Die Flucht ins Münzgeld war so stark, dass die Regierung den Tausch von Buchgeld in Münzgeld reglementieren und die Giro Bank auf Kosten des Staates retten musste, wodurch die Staatsverschuldung weiter anstieg. Dies alles beschleunigte den Verfall der Handelsmacht Venedig.

 

Die Normalität: Staaten verschulden sich.

Staaten haben sich seit jeher verschuldet. Schon in der Antike wurden größere öffentliche Projekte und insbesondere Kriege durch Kredite finanziert. So furchtbar es klingt, Kriege waren in der Vergangenheit ein ganz „normales“ Ereignis. Kriege und Geldwert sind Gegensätze, die einander ausschließen. Deshalb waren auch Staatsbankrotte, der Ausfall von Schuldnern und Bankenkrisen genauso gewöhnlich.

Waren Entwicklungsländer früher besonders stark von Staatsbankrotten betroffen, sorgt man sich seit einiger Zeit zunehmend auch um Industriestaaten. Kein Wunder, befinden sich mit Japan (Platz 2), Italien, den USA, Frankreich und Kanada (Plätze 7 bis 10) gleich fünf von ihnen in der aktuellen Rangliste des IWF der am höchsten verschuldeten Länder.

 

Der Exzess: Ausufernde Staatsverschuldung.

 Zur Finanzierung des Vietnam-Kriegs beschlossen die USA, die Golddeckung des Dollars und damit das Bretton Woods System zu beenden. Seitdem können die ehemaligen Mitgliedsstaaten ihre Fiskalpolitik unabhängig von Goldreserven steuern. Der Wert des Geldes ist nun nicht mehr durch physische Werte (Gold) gedeckt, sondern ausschließlich durch das Vertrauen in die Autorität der ausgebenden Staaten (Regierung und Notenbank) sowie in die wirtschaftliche Stabilität. Das sogenannte Fiat-Geld („fiat“ lateinisch für „es werde“ / „es geschehe“) war entstanden.

Seitdem gab es reichlich Krisen: die große Finanzkrise, die Eurokrise, Corona etc. Dank Fiat-Geld konnten Regierungen enorme Hilfspakete schnüren und Konjunkturprogramme initiieren.

Die Theorie besagt, Regierungen sollen in schlechten Zeiten expansive Fiskalpolitik betreiben und in guten Zeiten eine restriktive, doch Regierungen fällt „Sparen“ grundsätzlich schwer. Zudem sind die Wachstumsperspektiven reifer und satter Volkswirtschaften zunehmend geringer geworden.

Da tiefgreifende Reformen meist an großen Widerständen scheitern, bedarf es fortwährender, staatlicher Impulse, um das Wachstum am Laufen zu halten. Durch diese kontinuierlichen Staatsdefizite ist in vielen Industriestaaten eine Kultur des „Schuldenmachens“ entstanden. In der nachfolgenden Matrix haben wir die Entwicklung der Staatsverschuldung ausgewählter Länder seit der Zeit vor der großen Finanzkrise dargestellt.

Deutschland bildete bis vor Kurzem hinsichtlich der Staatsverschuldung die „leuchtende“ Ausnahme. Allerdings sind das schlechteste Wirtschaftswachstum der G7 Staaten, eine marode Infrastruktur, mangelnde Digitalisierung und keine Verteidigungsfähigkeit die Folge davon. Mit dem neuen „Sondervermögen“ über 500 Mrd. Euro für Infrastruktur, Klimaschutz und Verteidigung soll das nun behoben werden. Dies entspricht ca. 11 % des heutigen BIP.  

Dieses „Sondervermögen“ stellt nichts anderes dar als Schulden. Gleichzeitig wurde die Schuldenbremse ausgehebelt, dadurch werden zukünftige deutsche Regierungen ermächtigt, bis zu 1,7 Billionen Euro an neuen Schulden aufzunehmen. Bei voller Ausschöpfung würde sich die Staatsverschuldung in den nächsten zwölf Jahren verdoppeln. Zukünftige Generationen müssen dafür aufkommen, aber die demographische Entwicklung ist hierzulande nicht günstig.

Wie die vorangegangene Darstellung zeigt, ist kaum mit einem Umdenken zu rechnen. Staatsschulden von deutlich über 100 % können nicht nachhaltig sein. Kritikern wird entgegengehalten, dass Japan seit Jahren eine Staatsverschuldung von über 200 % hat. Das dortige System funktioniert jedoch nur, da das Land kaum ausländische Gläubiger hat, und die Bank of Japan in großem Stil Staatsanleihen kauft. Somit hat sie die Zinsen auf ein minimales Niveau gedrückt.

 

Unabhängig davon gilt, je höher die Verschuldung, desto größer der Anteil der Zinszahlungen am Staatshaushalt. Wie stark der Schuldendienst die Selbstfinanzierungskraft der Staaten erodieren lässt, hängt dabei von der Höhe des Zinsniveaus ab, zu dem sich die Staaten finanzieren müssen.

Viele Entwicklungsländer haben diesen Teufelskreis schon durchleben müssen, der wie ein Brandbeschleuniger wirkt: höhere Schulden bedeuten höhere Zinsen, höhere Zinsen bedeuten mehr Belastungen für den Staatshaushalt, deshalb neue Schulden usw. Nun scheint es, dass auch die großen Industrienationen davon betroffen sein könnten.

 

Die Macht des Anleihemarktes.

Die Größe des Anleihemarktes bzw. die Summe der weltweit emittierten Anleihen wurde für das Jahr 2023 auf über 128 Billionen US-Dollar geschätzt. Dank Neuverschuldung wächst er kontinuierlich. Zum Vergleich: die Wirtschaftsleistung der USA betrug im Jahr 2024 rund 29,2 Billionen US-Dollar, die Chinas 18,7 Billionen US-Dollar und die Deutschlands 4,6 Billionen US-Dollar.

US-Staatsanleihen – auch Treasuries genannt – machen fast 30 % des gesamten Anleihemarktes aus. Sie sind dessen bedeutendste Komponente, gelten als sehr sicher und dienen als Benchmark für andere Anleihen. Folglich haben sie einen erheblichen Einfluss auf die Stabilität des Finanzsystems.

US-Ökonom Ed Yardeni hat in den 80er Jahren den Begriff der „Bond Vigilantes“ geprägt. Er beschrieb damit Anleihe-Investoren, die als Gruppe so viel Einfluss ausüben, dass sie Staaten bzw. Regierungen zu disziplinieren imstande sind.

Dies musste beispielsweise die Clinton Regierung erleben. Damals hinderten steigende Zinsen auf Staatsanleihen Bill Clinton daran, seine Ausbaupläne für den Wohlfahrtsstaat umzusetzen. Das war auch in der Euro-Krise so und dies musste auch Liz Truss in ihrer kurzen Amtszeit als englische Premierministerin im Jahr 2022 erleben. Ihr wirtschaftspolitisches Programm, das – vereinfacht gesagt – höhere Staatsausgaben bei gleichzeitigen Steuersenkungen vorsah, führte zum Abverkauf britischer Staatsanleihen und einem starken Verfall des Pfunds. In der Folge musste Truss nicht nur ihre Pläne zurücknehmen, sondern bereits nach 45 Tagen zurücktreten.

Jüngst musste auch US-Präsident Trump die Macht des Anleihemarktes erkennen. Er wird zwar derzeit nahezu ausschließlich mit seiner Zoll- und Handelspolitik in Verbindung gebracht, aber er will in erster Linie Steuern senken. Um nicht die Staatsverschuldung weiter in die Höhe zu treiben, sollen Zölle die Mindereinnahmen aus Steuern ausgleichen. Zudem möchte er niedrigere Zinsen, denn große Mengen der Staatsverschuldung müssen kurzfristig umgeschuldet werden.

Da Zölle aber keine nachhaltige Einnahmequelle sind, verweigerte sich der Anleihemarkt. Nach dem „Liberation Day“ am 2. April fürchteten institutionelle Anleger um die Nachhaltigkeit der

US-Staatsschulden und trennten sich von Treasuries. Auch China stieß – wohl auch politisch motiviert –US-Anleihen in großem Stil ab. Daraufhin stiegen die Zinsen der 10-jährigen US-Staatsanleihe innerhalb weniger Tage von 3,9 % auf zwischenzeitlich 4,6 %. Nach dem Rückzieher von Trump, der seine zunächst angedrohten Zölle wieder verschoben hat, beruhigte sich die Lage wieder.

Über Jahrzehnte hinweg bestand die Kausalität zwischen zunehmender Unsicherheit und sinkenden US-Zinsen, da Anleger in den sicheren US-Staatsanleihen Zuflucht suchten. Diesmal war es anders, denn das von Trump verursachte Chaos um Zölle und Handelskrieg führte dazu, dass die Zinsen stiegen. Somit wies der Anleihemarkt den mächtigsten Mann der Erde in die Schranken.

Neben den USA gelten deutsche Staatsanleihen als Hort der Sicherheit. Auch hierzulande sinken die Zinsen in jeder Krise, da Anleger Wertpapiere mit höherem Schwankungsrisiko verkaufen und in „Bunds“ umschichten. Deutsche Staatsanleihen verdanken ihre hohe Bonität der jahrzehntelangen strikten Haushaltsdisziplin, die nun erheblich gelockert wird.

Gelingt dadurch ein wirtschaftlicher Aufschwung, sollte sich an dem Nimbus der Bunds wenig ändern. Bislang sehen die Rating Agenturen noch keine Veranlassung, von der sehr hohen Bonität Deutschlands abzurücken.

Gelingt der Aufschwung nicht – beispielsweise, weil tiefgreifende Reformen ausbleiben und das Zuschütten ineffizienter Strukturen (ausgeuferte Bürokratie) mit Geld nicht den gewünschten Erfolg bringen – dürfte dies die Bonität Deutschlands schwächen. Die dann steigenden Zinsen würden die Finanzierungskosten des Bundes erhöhen und die Finanzierungsfähigkeit einschränken.

 

Der Gordische Knoten der Schuldenreduktion.

Aber wie kann man das Niveau der Verschuldung wieder senken? Sparen und Wachsen fällt reifen Volkswirtschaften naturgemäß schwer. Einen Ausweg bietet die sogenannte „Financial Repression“. Darunter versteht man eine subtile Methode, die Staatsverschuldung abzutragen, ohne tatsächlich zu sparen. Die Wirtschaft soll dabei nominal, d.h. inklusive der Inflation schneller wachsen als die Staatsverschuldung – und sei es nur durch Preissteigerungen. Dann sinkt die Verschuldung im Vergleich zum BIP.

Historisches Vorbild sind die USA, denen die Konsolidierung ihrer Schulden nach dem 2. Weltkrieg gelang. Ermöglicht wurde dies durch die Kombination aus hohem Wirtschaftswachstum, das hohe Steuereinnahmen ermöglichte, und der gezielten Duldung einer moderat höheren Inflationsrate, indem die Notenbank die Zinsen tiefer beließ als in Boomphasen üblich. Dadurch sank die Verschuldungsquote bei Kriegsende von 120 % der Wirtschaftsleitung (BIP) auf 30 % im Jahr 1981.

Da wir uns derzeit weit entfernt von einem selbsttragenden hohen realen Wachstum befinden, müsste das BIP vornehmlich durch Preissteigerungen größer werden. Volkswirte bezeichnen ein Umfeld, in dem die Wirtschaft real nur wenig oder gar nicht wächst, die Inflation aber höher ist, als im historischen Durchschnitt, als Stagflation. Gerade in den USA sind seit Beginn der Zollandrohungen die Wachstumserwartungen stark zurückgegangen, gleichzeitig aber die Inflationserwartungen angestiegen. Es ist durchaus möglich, dass wir uns am Beginn einer stagflationären Phase befinden.

 

Anlagepolitische Konsequenzen. 

Was tun in Zeiten höherer Staatsverschulung und latentem Kaufkraftverlust durch Inflation?

Ein natürlicher Reflex, in unsicheren Zeiten in traditionelle Staatsanleihen zu investieren oder sein Geld in Festgeldanlagen zu parken, dürfte in diesem Fall nicht die richtige Entscheidung sein.

So sollen die Zinsen – wie dargestellt – politisch motiviert tief gehalten werden, auch um die Bonität durch zu hohe Zinsbelastungen nicht zu gefährden. Der Anleihemarkt dient zwar als Korrektiv für ausufernde Staatsverschuldung, dies geht aber im Falle eines Falles mit stark steigenden Zinsen und entsprechenden Kursverlusten bei Anleihen einher. Und nicht zuletzt sind Anleihen dem Kaufkraftverlust ungeschützt ausgesetzt, was in Zeiten höherer Inflationsraten besonders schmerzlich ist.

Anleihen beinhalten das Recht, während der Laufzeit eine Verzinsung zu erhalten und zu einem festgesetzten Zeitpunkt das eingesetzte Kapital wieder zurückzubekommen. Da diese Werte nominal sind, beinhalten sie keinen Inflationsschutz, was einen Kaufkraftverlust mit sich bringt.

Quelle: eigene Berechnung und Darstellung

Hingegen liegen Sachwertanlagen wie Aktien reelle Werte zu Grunde. Zudem können Unternehmen je nach Marktposition Preissteigerungen auch an Kunden weitergeben, was den Umsatz erhöht und damit einen Ausgleich zu den gestiegenen Kosten bietet. Dies spiegelt sich dann auch in den Aktienkursen wider, deshalb weisen sie Vorteile gegenüber Anleihen oder Festgeld auf. Letztere werden zwar – wie erläutert – zum Teil als sichere Häfen angesehen, aber sie basieren – wie erläutert – auf Nominalwerten und auf dem Versprechen der Rückzahlung.

Die nachfolgende Darstellung zeigt einen langfristigen Vergleich der Renditen von Aktien, Anleihen und Festgeld, vor und nach Inflation für die USA. Wie daraus zu ersehen ist, sind Renditen von Aktien langfristig höher als die von Anleihen und Festgeld. Im Ergebnis sind die Renditen von Aktien sogar nach Inflation höher als die Rendite von Anleihen vor Inflation.

Der zweite Grund, warum Aktien langfristig rentabler sind als Nominalanlagen wie Anleihen und Festgeld, sind die deutlich stärker schwankenden Kurse. Die höhere Rendite entschädigt für die eingegangenen (Kurs-)Risiken, allerdings verlängern die höheren Kursschwankungen den Anlagehorizont.

Der (teilweise) Ausgleich von Kaufkraft gilt auch für Immobilieninvestments, denn sie gelten ebenfalls als Sachwerte. Zum Teil sind Mieterhöhungen direkt an die Inflation gekoppelt, zudem sollten deren Renditen wegen der im Vergleich zu (Staats-)Anleihen deutlich geringeren Liquidität höher sein (Illiquiditätsprämie). Allerdings hängt die Bewertung von Immobilien von der Höhe des Zinses ab. Steigt der Zins, fällt der Wert einer Immobilie wie infolge des Zinsanstiegs im Jahr 2022 gesehen.

Aber nicht nur Aktien und Immobilien kommt in Zeiten höherer Inflationszahlen und damit verbundenen Kaufkraftverlusten eine größere Bedeutung zu. Gold gilt ebenfalls als Sachwert und seit jeher als sicherer Hafen. Mit der Freigabe des Goldpreises nach der Beendigung des Bretton Woods Systems fand Gold Einzug in die Kapitalanlage, seitdem dient Gold vorwiegend als Wertaufbewahrung und Diversifikator.

Während in früheren Zeiten Gold stark von Privatpersonen als Kapitalanlage gekauft wurde, sind derzeit Notenbanken aus dem sogenannten globalen Süden die größten Käufer. Sie diversifizieren ihre Währungsreserven.

Summa Summarum.

Um die Folgen eines Kaufkraftverlusts durch eine mittelfristig höhere Inflation abzumildern, hilft beispielsweise ein geringerer Anteil an traditionellen Anleihen. Vor allem sollte man angesichts der beschriebenen Risiken und des mutmaßlichen Einsatzes finanzieller Repression auf langlaufende Staatsanleihen verzichten, denn hier führen mögliche Zinssteigerungen zu erheblichen Kursrückgängen.