Ausblick: Frühjahr 2016
Das Börsenjahr 2016 hat so schlecht begonnen wie noch keines zuvor. Nachdem bereits am ersten Handelstag in China der Börsenhandel aufgrund von Kurseinbrüchen ausgesetzt wurde, sind in der Folge die europäischen Börsen abgestürzt. Die chinesischen Börsen waren auch noch in der Folgezeit außerordentlich labil und belasten nach wie vor andere Kapitalmärkte. Die chinesische Wirtschaft, insbesondere aber die chinesischen Börsen, hatte uns bereits im Sommer 2015 auf Trab gehalten, nun sorgte das Land auch für den ersten Paukenschlag im neuen Jahr.
Man wird den Eindruck nicht los, dass China den Kapitalismus noch „übt“. Während beispielsweise in China ein Börsenrückgang von 7 % genügt, um den Handel auszusetzen, sind in den USA vergleichsweise 25 % notwendig. In Deutschland ist die Resonanz auf solche Kapriolen in China aufgrund der hohen Exportabhängigkeit viel höher als anderswo, zum Beispiel in den USA. Unabhängig davon sind die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmendaten und Unternehmenszahlen in China, aber auch weltweit ganz passabel.
Im weiteren Verlauf des noch jungen Jahres wurden die anhaltend niedrigen Rohstoffpreise zur größten Belastung für das Börsengeschehen, denn immer mehr Unternehmen und Länder, die mit Rohstoffen ihr Geld verdienen, sind damit einer großen Belastungsprobe ausgesetzt. Der Kursverfall börsennotierter Gesellschaften wie Rio Tinto oder BHP Billiton sprechen ebenso für sich wie das verschlechterte Rating brasilianischer Staatsanleihen.
Zudem schoben sich im Hintergrund vermehrt politische Ereignisse und Entwicklungen in das Börsengeschehen ein.
Schaut man sich die derzeitige Gesamtlage an, erkennt man, dass ungewöhnlich viele geopolitische Problemherde existieren:
1. Der Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien
Der Konflikt dieser zwei Länder ist insbesondere ein Konflikt zwischen Schiiten (Iran) und Sunniten (Saudi-Arabien) und auch exemplarisch für Zwistigkeiten in der islamischen Welt. Durch die Hinrichtung des obersten Sunniten in Saudi‑Arabien ist schwelender Konflikt zum Aufflammen gekommen. Auch wenn dies keine kriegerischen Aktionen nach sich zieht, treffen hier zwei wichtige Ölförderländer aufeinander. Nachdem der Ölpreis im Jahr 2015 von Tief zu Tief geeilt ist, was beiden Ländern Erträge wegbrechen lies, sollten wir unser Augenmerk darauf richten, wie sich dieser Konflikt und der Ölpreis entwickeln.
2. Der Konflikt in Syrien
Spätestens nach den Terroranschlägen in Paris tummeln sich auf diesem Kriegsschauplatz alle Parteien, die für einen größeren Konflikt gut sind. Alleine der Abschuss eines russischen Jets durch die Türken Ende 2015 hat gezeigt, wie schnell daraus „mehr“ werden kann. Zudem hat Syrien gezeigt, dass die USA nicht mehr ihre alte Rolle einnehmen, denn nach dem Überschreiten der von Präsident Obama genannten Rolle ‑ und diese wurde durch die Giftgaseinsätze überschritten ‑ sind die USA entgegen ihrer Ankündigung passiv geblieben. Aus Syrien könnte kurzfristig Krisenpotential für die ganze Welt und damit auch für die Weltwirtschaft und die Börsen entstehen.
3. Flüchtlingskrise
Zu großen Teilen aus Syrien, aber beileibe nicht nur aus diesem Land, strömen Flüchtlinge in großer Zahl nach Europa und insbesondere nach Deutschland. Deutschland wird hier sowohl wirtschaftlich und logistisch als auch integrationspolitisch in höchsten Maße gefordert. Darüber hinaus hat aber schon das Jahr 2015 gezeigt, dass Europa, in erster Linie die EU, massiv auf die Probe gestellt wird. Beispielsweise sind Grenzschließungen schon eine Belastung für die Volkswirtschaften. Die gelebte Europa-Skepsis in Großbritannien und der wachsende Nationalismus in Ländern wie Polen tun ein Übriges. Es bleibt die Frage offen, wie sich diese Gemengelage dauerhaft auf den EURO auswirken wird.
4. Terrorismus
Der internationale Terrorismus hatte mit den Anschlägen auf das World Trade Center am 9. September 2001 eine völlig neue Dimension erreicht. Auch Europa ist in den Folgejahren nicht verschont geblieben: die Anschläge von Paris sind das jüngste, aber nicht das einzige Beispiel. Die Terrorwarnung von München in der Sylvester-Nacht zeigt, dass Deutschland nicht zwangsläufig außen vor bleiben wird. Nachdem Kriege Jahrtausende lang auf Schlachtfeldern ausgetragen wurden, war insbesondere das 20. Jahrhundert von Kriegen geprägt, deren Frontverläufe ganze Länder durchzogen haben. Die bisherigen Kriege des 21. Jahrhunderts ‑ wie zum Beispiel gegen den IS ‑ werden vielfach von Staaten unabhängige Parteien geführt, der Frontverlauf ist weniger eindeutig, vielfach wird er durch Terroranschläge in andere Regionen exportiert. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, wird dies wirtschaftliche Prosperität schmälern und Investitionen beeinflussen. Das ist auch das, was die Terroristen wollen, dass wir nicht mehr unser gewohntes freies Leben führen können. Sie wollen, dass unsere Lebensqualität sinkt.
5. Ukraine-Krise
Diese Krise ist fast schon in Vergessenheit geraten, gelöst ist sie aber nicht. Nach wie vor ist das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen angespannt. Gerade aufgrund der vorgenannten Problemfelder wäre ein gutes Verhältnis zu Russland vonnöten. Russland spielt als Ölförderland genauso eine Rolle wie als Einflussfaktor im Nahen Osten. Solange dieser Konflikt nicht ausgeräumt ist, sollte es schwerfallen, die anderen Konflikte zu lösen.
6. Großbritannien
Am 23. Juni stimmt das Land über seinen Verbleib in bzw. seinen Austritt aus der Europäischen Union ab; der Ausgang dieser Abstimmung ist aus heutiger Sicht offen. Vieles, was derzeit rund um die Flüchtlingskrise in Kontinentaleuropa passiert, ist Munition für die Befürworter eines Austritts auf der Insel. Sollte ein Austritt, der sogenannte Brexit, das Ergebnis sein, wäre sowohl für die Finanzmärkte mit Turbulenzen als auch für die Restunion mit weiteren Erosionserscheinungen zu rechnen.
Betrachtet man jedoch die reinen Wirtschaftsdaten, sieht die Welt gar nicht so schlecht aus. Die Ertragsausfälle der Rohstoffförderländer sind gleichzeitig die günstigen Einkaufspreise der abnehmenden Länder. Gerade für uns in Europa ein positives Eckdatum. Setzt sich die Entwicklung der niedrigen Rohstoffpreise fort, könnte dies dazu führen, dass einzelne Unternehmen oder Länder in ernsthaftere Schwierigkeiten kommen und andere mitreißen. Diese Entwicklung sollte mit großem Augenmerk verfolgt werden. Kommt es alternativ zu einem Preisanstieg bei den Rohstoffen, würde für die Abnehmerländer die Luft wieder dünner werden.
Die Zins- und Währungssituation hängt sehr stark von den Vorgehensweisen der Zentralbanken ab. Bleibt die durch die FED eingeleitete Zinswende eher ein symbolischer Akt oder folgen im Laufe des Jahres 2016 weitere substanzielle Schritte? Wie verhält sich analog dazu die EZB? Und welche neuen und alten Probleme kommen auf den EURO zu, hier ist z. B. an Griechenland zu denken.
Die weltwirtschaftliche Entwicklung gibt an verschiedenen Stellen Grund, guten Mutes zu sein. Schaut man sich beispielsweise die Absatzzahlen der Automobilhersteller an, kann man erkennen, dass sich diese mit zweistelligen Zuwachsraten weltweit auf hohem Niveau befinden und dass gerade die südeuropäischen Länder, die zuletzt als Sorgenkinder in Erscheinung getreten sind, diese noch übertreffen und somit eine wirtschaftliche Stabilisierung erkennen lassen.
In den nächsten Jahren dürfte klar zutage treten, dass sich Wirtschaft, Politik und Gesellschaft nicht auf Dauer voneinander trennen lassen. So ist aus deutscher Sicht der 13. März ein wichtiger Termin, denn dann wird in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen‑Anhalt gewählt werden. Sollte in Baden-Württemberg die bestehende grün‑rote Koalition und in Rheinland-Pfalz die rot‑grüne Koalition bestätigt werden, würde das die Position der Bundeskanzlerin insbesondere im eigenen Lager spürbar schwächen. Egal, wie die Wahlen genau ausgehen, die Regierungsbildungen dürften sich in Zukunft schwieriger gestalten, denn dafür sorgt schon die AfD, die eine größere Rolle in den Parlamenten spielen und als Koalitionspartner vorerst ausscheidet.
Als Fazit kann festgehalten werden: für 2016 kann sowohl die nationale als auch die internationale Politik entscheidende Akzente für die Börsenentwicklung setzen.